Das (alte) Gerichtsgebäude in der Gerichtsstraße 5 wurde 157 Jahre lang, von Herbst 1830 bis Mitte September 1987 als Gericht benutzt. Zunächst, bis 1850, befanden sich dort die Diensträume des Land- und Stadtgerichts, sodann die des Kreisgerichts und schließlich - ab 1879 - die des Amtsgerichts Lübbecke.

I. Das Land- und Stadtgericht Lübbecke

1. Gerichtsorganisation

Nach der Wiedervereinigung von Minden-Ravensberg mit Preußen 1815 (bestätigt durch Artikel 23 der Wiener Schlussakte vom 9. Juli 1815) wurde für Justizangelegenheiten das Oberlandesgericht geschaffen, dem Land- und Stadtgerichte unterstellt wurden. Für Westfalen waren die Oberlandesgerichte in Münster, Arnsberg (Hofgericht), Paderborn und Hamm vorgesehen. Durch Kabinettsorder vom 20. November 1814 wurde zunächst in Minden eine Oberlandesgerichtskommission errichtet. Diese umfasste den nördlichen Teil des Regierungsbezirks Minden, außer Rheda sowie Tecklenburg und Lingen. Der Kommission waren u.a. die Land- und Stadtgerichte Bünde, Levern, Lübbecke, Oldendorf, Quernheim und Rahden unterstellt. Für Strafsachen wurden zwei Inquisitoriatsbezirke geschaffen, Paderborn für das Land- und Stadtgericht Rietberg, Herford für den übrigen Bezirk des Oberlandesgerichts. Die Oberlandesgerichtskommission stellte bereits 1816 ihre Tätigkeit ein und wurde nach Paderborn als Bestandteil des dortigen Oberlandesgerichts verlegt.

Das Land- und Stadtgericht zu Lübbecke umfasste die Stadt Lübbecke, die Gemeinden Eickhorst, Nettelstedt, Eilhausen, Gehlenbeck, Frotheim, Isenstedt, Blasheim, Alswede, Fabbenstedt, Vehlage, Hedem, Benkhausen, Hüffe (zur Hälfte), Knöttighausen und Obermehnen. Nach der Auflösung des Landgerichts Oldendorf im Jahre 1817 kamen die Gemeinden Pr. Oldendorf, Getmold, Lashorst, Engershausen, Harlinghausen, Offelten, Eininghausen, Börninghausen, Holzhausen und Heddinghausen hinzu (Rödinghausen wurde dem Land- und Stadtgericht Bünde zugeteilt).

Als im Jahre 1831 der Kreissitz Rahden nach Lübbecke verlegt und der Kreis Bünde mit dem Kreis Herford vereinigt wurde, kamen die (abgetrennten) Gemeinden Oberbauerschaft, Büttendorf, Hüllhorst, Holsen, Schnathorst, Bröderhausen und Tengern zum Kreis- und zum Gerichtsbezirk Lübbecke.

Besetzt war das Land- und Stadtgericht Lübbecke mit einem Landrichter, zwei Assessoren, einem Registrator, drei Kanzlisten und sechs Boten.

2. Gerichtsgebäude

Das Land- und Stadtgericht Lübbecke war bis zum Jahre 1830 in einem Hause des Freiherrn von der Recke zu Obernfelde untergebracht (Jahresmietzins: 176 Taler). Das (alte) Amtsgericht, Gerichtsstraße 5, wurde 1828 in der Krögerschen Subhastation (öffentliche Versteigerung) vom königlichen Justizfiskus erworben (Zuschlagsbescheid vom 10. Dezember 1828), und zwar für 3.600 Taler (so von Borries - von der Horst: 36.000 Taler). Die Umbaukosten beliefen sich auf 1.816 und die Einrichtungskosten auf 483 Taler. Der Burgmannshof wurde ab Herbst 1830 vom Land- und Stadtgericht Lübbecke genutzt.

Das Gerichtsgebäude (Hauptgebäude des Amtsgerichts, zum Süden gelegen) gehörte früher zum von Grapendorfschen Hof. Wann es errichtet wurde, ist nicht bekannt. Die ältesten Besitzer des von Grapendorfschen Hofgutes waren die von Lübbecke (Mitte des 14. Jahrhunderts). Das Lehen ging dann auf die von Münchhausen über. 1397 war Dietrich von Münchhausen Eigentümer dieses Burgmannshofes. Im Jahre 1452 bekam Johann von Grapendorf den Hof nebst "allen Stätten und Worte binnen Lübbecke belegen so de in vor Tiden Statius von Lübbecke hadde" zu Lehen. Das Hofgut blieb mehrere Jahrhunderte im Besitz der Familie. Christoph von Grapendorf, der den Besitz 1609 antrat, war Senator in Lübbecke. Nachdem 1787 über das Vermögen der Erben des 1782 gestorbenen Oberjägermeisters Hilmar Freiherr von Grapendorf Konkurs eröffnet worden war, erstand der Landrat Ernst-Ludwig Viktor von Korff zu Obernfelde das Grapendorfsche Hofgut in Lübbecke nebst Grapenstein in der Subhastation für 50.650 Taler. Landrat von Korff starb 1807. Sein Sohn verlor das Hofgut im Jahre 1812 "sub hasta" an den "receveur" Kröger zu Lübbecke und den Kaufmann Karl Bernhard Dietrich Stille daselbst. Diese übertrugen ihre Rechte 1813 an Arnold Dietrich Wilmans. Letzterer verkaufte 1817 das zu dem Grapendorfschen Gut gehörige Wohnhaus für 3.425 Taler an den Ortsbeamten Franz Heinrich Kröger zu Obernfelde. Nach dessen Tode ging das Haus auf seine drei Kinder als Intestaterben über. 1828 wurde dann der königliche Justizfiskus Eigentümer.

Der nördliche, nur wenig kleinere Anbau des (jetzigen) Gebäudes Gerichtsstraße 5 wurde 1841 geplant und 1846/47 vollendet. In dem Anbau befanden sich fünf 10,75 bis 11,70 qm große Zellen und eine ebenso große Bekleidungskammer. Das Erdgeschoss bot weiter Platz für eine Wohnung, bestehend aus Küche mit Nebenräumen, Flur, Wohnzimmer und Töchterzimmer. Nach den Plänen ist davon auszugehen, dass die (ca. 1950 abgerissenen) Gebäudeteile, eine recht große Scheune (12 x 16) und ein Hof für die Gefangenen ebenfalls 1847 oder kurze Zeit später, errichtet wurden. Ob das Obergeschoss, in dem sich jetzt mehrere Diensträume befinden, sofort ausgebaut wurde, konnte nicht ermittelt werden.

II. Das Kreisgericht Lübbecke

1. Gerichtsorganisation

Durch Verordnung vom 2. Januar 1849 wurden die Gerichte neu organisiert. Als Gerichte erster Instanz wurden die Kreisgerichte eingerichtet, bestehend aus dem Direktor und mindestens fünf Richtern. Eine Abteilung war für die streitige Gerichtsbarkeit in Zivil- und Strafsachen, die zweite für die freiwillige Gerichtsbarkeit zuständig. Die Kreisgerichte waren Kollegialgerichte. Es gab zudem Einzelrichter, am Sitz des Kreisgerichs den sogenannten Bagatellrichter für Sachen bis zu 50 Taler Wert und außerhalb die Kommission für die Bagatellsachen, Forstrügesachen, Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Testamente, Vormundschafts- und Nachlasssachen sowie Rechtshilfesachen.

An Orten außerhalb des Kreissitzes konnten Deputationen, abgezweigte Abteilungen, eingerichtet werden. Eine solche wurde - das Kreisgericht Lübbecke war für den gesamten Kreis Lübbecke zuständig - in Rahden belassen. Diese war indes nur für einen Teil des früheren Bezirks Rahden zuständig; das Amt Levern sowie das Kirchspiel Dielingen gingen 1850 auf das Kreisgericht Lübbecke über. In Levern war ein Gerichtstag eingerichtet (bis etwa 1959).

Das Kreisgericht Lübbecke war mit einem Direktor und sechs Richtern besetzt. In den Jahren 1864, 1869 und 1875 wurde je eine Richterstelle eingezogen. Die Geschäfte des Staatsanwalts wurden von dem Staatsanwalt des Kreisgerichts zu Minden wahrgenommen; bis 1860 war in Lübbecke ein Staatsanwaltsgehilfe tätig.

Das Kreisgericht war nicht für alle Strafsachen erster Instanz zuständig. Durch Verordnung vom 03.01.1849 wurden die Geschworenengerichte eingerichtet. Für die Kreise Minden, Lübbecke, Herford, Bielefeld und Halle war das Schwurgericht Herford zuständig.

Das Oberlandesgericht wurde 1850 in Appellationsgericht umbenannt.

2. Gerichtsgebäude

Bauliche Veränderungen wurden, soweit ersichtlich, in der Zeit bis 1879 nicht vorgenommen.

III. Das Amtsgericht Lübbecke

1. Gerichtsorganisation

Am 1. Oktober 1879 traten die neuen Reichsjustizgesetze in Kraft. Die Bezirke der Appellationsgerichte Hamm, Münster, Paderborn und Arnsberg wurden zum einheitlichen Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm verschmolzen. Nach zähem Ringen zwischen den Städten Bielefeld, Herford und Minden wurde Bielefeld Sitz des für Lübbecke zuständigen Landgerichts. Im Bezirk wurden die jetzt bestehenden sowie die vor rund zehn Jahren aufgelösten Amtsgerichte Rheda, Rietberg, Vlotho und Petershagen eingerichtet.

Der Amtsgerichtsbezirk Lübbecke umfasste die Stadtgemeinde Lübbecke und die Landgemeinden Ahlsen, Reineberg, Alswede, Blasheim, Börninghausen, Bröderhausen, Büttendorf, Destel, Eilhausen, Fabbenstedt, Gehlenbeck, Getmold, Harlinghausen, Hedem, Holsen, Holzhausen, Huchzen, Hüllhorst, Isenstedt, Lashorst, Levern, Nettelstedt, Niedermehnen, Oberbauerschaft, Offelten, Preußisch Oldendorf, Schnathorst, Schröttinghausen, Sundern, Vehlage sowie die Gutsbezirke Benkhausen, Ellerburg, Hollwinkel und Hüffe; das Kirchspiel Dielingen fiel an das Amtsgericht Rahden. Der Gerichtstag in Levern blieb bestehen.

Am Amtsgericht waren drei Amtsrichter tätig. Die dritte Richterstelle wurde 1894 eingezogen, jedoch 1914 wieder bewilligt. Bereits 1911 war dem Gericht eine Hilfsrichterstelle zugeteilt worden.

Die Zahl der Gerichtseingesessenen erhöhte sich in zwölf Jahren (1898) von 30.700 auf 35.581 (1910). 1898 wurden 368 Zivilprozesse, 114 Strafsachen und 33 Privatklagen anhängig. Es waren zudem 1.782 Vormundschaften und 1.516 Grundbucheintragungen zu bearbeiten. Angestellt waren drei Sekretäre, ein Assistent, drei Kanzlisten und zwei Gerichtsdiener. Im Bezirk waren zudem zwei Notare und ein Gerichtsvollzieher tätig.

Die Zahl der Gerichtseingesessenen erhöhte sich bis 1963 auf 53.347, die Zahl der Bediensteten auf 21,33 - davon 3,33 Richter, 5 A-Beamte und 13 B- und K-Kräfte.

Durch die Gebietsreform - die Gemeinde Levern gehört seit 1973/74 zum Amtsgerichtsbezirk Rahden - hat sich die Zahl der Gerichtseingesessenen verringert (43.038 am 31.12.1986). Die Zuständigkeit des Gerichts ist indes erweitert. Das Amtsgericht Lübbecke ist auch für die im Bezirk des Amtsgerichts Rahden anfallenden Verkehrsordnungswidrigkeits-, Konkurs- und Vergleichssachen zuständig; seit dem 01.07.1977 sind zudem die Familiensachen - bis zum 30.06.1977 war das Landgericht für die Ehesachen zuständig - aus den Bezirken Lübbecke und Rahden zu bearbeiten.

2. Gerichtsgebäude

Das Amtsgericht war bis September 1987 in dem - durch den 1846 errichteten Anbau erweiterten - Burgmannshof untergebracht.

1907 wurden, um einen größeren Sitzungssaal zu schaffen, einige bauliche Veränderungen im Gebäude vorgenommen. Circa 1950 wurden durch den Umbau der Zellen des früheren Gerichtsgefängnisses drei Räume mit knapp 60 qm gewonnen; der Gefängnishof und die Scheune wurden abgerissen.

Wegen des immer größer werdenden Raummehrbedarfs wurde die 1846 errichtete Hausmeisterdienstwohnung in der Zeit nach 1964 eingezogen.

Nachdem zunächst ein Erweiterungsbau auf dem Grundstück Gerichtsstraße 5 im Gespräch gewesen war, wurde mit Vertrag vom 2. Februar 1973 ein 3.805 qm großes Grundstück für Zwecke des Amtsgerichts gekauft. Die Verkäuferin, die Stadt Lübbecke, verpflichtete sich, dem Land binnen eines Jahres zwei Nachbargrundstücke anzubieten. Die Verhandlungen der Stadt mit den Eigentümern dieser Flächen dauerten jedoch mehrere Jahre und konnten erst 1978 abgeschlossen werden. Mit notariellem Vertrag vom 30.08.1979 wurden weitere 1.634 qm erworben. In der Folgezeit ergab sich dann die Möglichkeit, das ehemalige Finanzamtsgebäude an der Kaiserstraße für Zwecke des Amtsgerichts umzubauen; das am Niederwall westlich der jetzigen Hauptpost gelegene Grundstück wurde deshalb 1985 in die allgemeine Finanzverwaltung übergeben.

Das neue Gebäude in der Kaiserstraße 18 wurde etwa 1938 fertiggestellt und bis Kriegsende vom Finanzamt Lübbecke genutzt. Nach dem zweiten Weltkrieg diente das Gebäude der Britischen Rheinarmee als Divisionshauptquartier. Bis vor einigen Jahren wohnten in Lübbecke etwa 120 Offiziere mit ihren Familien.

Mit den Umbauarbeiten für das Amtsgericht wurde 1985 begonnen. Der Umzug erfolgte in der Zeit vom 14. bis 16. September 1987.

Auch das Aktenarchiv zog in das weitläufige Gebäude der Kaiserstraße 18 ein. Hier lagern heute die Altakten von 23 Amtsgerichten und zwei Staatsanwaltschaften aus Nordrhein-Westfalen.

 

Verfasser: Manfred Surmeier, Direktor des Amtsgerichts a.D.

Quellen: von Borries, Festschrift zur Einweihung des neuen Dienstgebäudes des Landgerichts (Beitrag zu einer Geschichte des Gerichtswesens in dem Bezirk des Königlichen Landgerichts Bielefeld), Bielefeld 1917, von der Horst, Die Rittersitze der Grafschaft Ravensberg und des Fürstentums Minden, 2. Neudruck der Ausgabe 1894 bis 1898.